Links und Recht…

CuA - Computer und Arbeit[Beitrag in „COMPUTER UND ARBEIT“ – Fachzeitschrift für Betriebs- und Personalräte zu EDV-Einsatz, Mitbestimmung und Datenschutz – Dezember 2004]

Jan A. Strunk

Über den (Un)-Sinn von Disclaimern

Es gibt Botschaften, die verselbständigen sich irgendwann. Und zwar so sehr, dass ihre Authentizität und sachliche Richtigkeit bald von niemandem mehr hinterfragt werden. Zuweilen verkehrt sich die ursprüngliche Aussage dabei sogar in ihr krasses Gegenteil.

So auch im Fall des im World Wide Web mittlerweile wohl meistzitierten Urteils: Dem des Landgerichts Hamburg vom 12. Mai 1998 (Az.: 312 O 85/98).

Diese Entscheidung wurde nämlich zum Anlass für Formulierungen wie der folgenden, die so oder so ähnlich im Impressum unzähliger Websites zu finden sind:

»Mit Urteil vom 12. Mai 1998 hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass man durch die Ausbringung eines Links die Inhalte der gelinkten Seiten ggf. mit zu verantworten hat. Dies, so das Landgericht, kann nur dadurch verhindert werden, dass man sich ausdrücklich von diesen Inhalten distanziert.
Da wir keinen Einfluss auf die Gestaltung und den Inhalt gelinkter Seiten haben, distanzieren wir uns hiermit ausdrücklich von den Inhalten aller Links auf unserer Homepage und machen uns diese Inhalte nicht zu eigen.«

Hintergrund des Ganzen sind die auf Internet-Veröffentlichungen anzuwendenden Haftungsregeln im Teledienstgesetz oder im hier gleichlautenden Mediendienste-Staatsvertrag (Siehe § 8 ff Teledienstgesetz (TDG) und § 6 ff Mediendienste-Staatsvertrag (MDStV); zum Zeitpunkt der Entscheidung galten noch die jeweiligen §§ 5 Abs. 1 TDG/MDStV in der Fassung von 1997, die an der maßgeblichen Stelle aber bis auf den Begriff ›Inhalte‹ anstatt jetzt ›Informationen‹ gleich formuliert waren).

Danach müssen Website-Anbieter für eigene Informationen, die sie zur Nutzung bereithalten (als so genannte ›Content-Provider‹ auch haftungsrechtlich einstehen.
Was zunächst nichts weiter bedeutet, als die Wiederholung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, dass jeder für sein eigenes Handeln verantwortlich ist.

Spannender – und im fraglichen Urteil erstmalig im Zusammenhang mit dem Internet in einer Gerichtsentscheidung auftauchend – ist allerdings die Frage, ob in der bloßen Verlinkung auf eine fremde Website ein Bereithalten ›eigener Inhalte‹ liegen kann. Eine Frage, die das Landgericht Hamburg bejaht hat.

Was die Internet-›Gemeinde‹ hieraus dann allerdings nach dem ›Stille-Post-Prinzip‹ gemacht hat, ist leider fast schon ein klassisches Beispiel dafür, was dabei herauskommen kann, wenn man fremde Inhalte ungeprüft und ohne eigenes Nachdenken einfach wörtlich übernimmt. (Wobei einige der daraus entstandenen Erklärungen zur Krönung des Ganzen sogar noch einen direkten Link zum Volltext des Hamburger Urteils enthalten).

Gelesen haben kann die Entscheidung jedenfalls keiner der unzähligen Webmaster, die den oben zitierten Mustertext auf ihrer Seite eingebaut haben – und wenn doch, bestünde ernsthaft Anlass zur Sorge.

Denn das Gericht hat in besagter Entscheidung mit auch für den juristischen Laien leicht verständlichen Worten unmissverständlich klar gemacht, dass man einer eigenen Haftung für Links auf fremde Inhalte gerade nicht dadurch entgehen kann, dass man einfach pauschal seine eigene Verantwortung ausschließt.

Ob man sich einen fremden Inhalt im Rechtssinne ›zu eigen macht‹ (und damit für ihn haftet), hat nichts, aber auch gar nichts damit zu tun, ob man eine mehr oder weniger geschickt formulierte ›Haftungsausschlussklausel‹ in seine Website einbaut oder nicht.

Entscheidend sind vielmehr immer die konkreten Umstände der einzelnen Verlinkung.

Was auch ohne weiteres einleuchtet: Ein tatsächlich rechtswidriges Verhalten wird – insbesondere gegenüber dem Verletzten – nicht dadurch gegenstandslos, dass man pauschal erklärt, für nichts einstehen zu wollen …

Sehen wir etwas genauer hin:

Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg stellt zunächst klar, dass ›eigene‹ Inhalte nicht ausschließlich nur solche sind, die von dem Website-Macher selbst unmittelbar herrühren (also etwa von ihm als Urheber verfasst wurden), sondern darüber hinaus auch fremd erstellte Inhalte, die er sich als Anbieter ›zu eigen‹ macht und sie in einer Form übernimmt, die deutlich macht, dass er aus der Sicht eines objektiven Nutzers für sie Verantwortung tragen will.

Das Hamburger Landgericht kam nun anhand der konkreten Umstände des Falls zu der Überzeugung, dass durch die Art der Verlinkung, ihren offenkundigen Zweck und die konkrete Präsentation durch den Anbieter hier ein ›Sich-zu-eigen-Machen‹ im Rechtssinne vorlag. Und da die fraglichen Inhalte strafwürdig waren, der Anbieter dies auch wusste und dennoch verlinkte, haftete er.

Nach Auffassung der Hamburger Richter kann es nicht ausreichen, als Anbieter einer Website einen fremden Inhalt als einen solchen nur kenntlich zu machen – darin allein liegt noch keine ernsthafte Distanzierung von den Äußerungen des Dritten. Auch der Umstand, dass der Anbieter bei der Verlinkung zu den in diesem Fall ehrverletzenden Äußerungen auf die Verantwortung ihres Urhebers verwiesen hatte, half ihm wenig – auch hierin liegt objektiv noch kein Abstandnehmen von den strafwürdigen Inhalten.

Natürlich haftet vor allem der jeweilige Autor selbst für seine eigenen Inhalte. Außer ihm aber eben auch derjenige, der seine Billigung fremder Informationen dadurch öffentlich dokumentiert, dass er sie in Kenntnis ihres Inhalts durch eine Verlinkung weiterverbreitet, ohne dabei hinreichend deutlich zu machen, dass er die dortigen Äußerungen inhaltlich nicht teilt.

Kein Haftungsausschluss durch ›Disclaimer‹

Damit ist klar: Die hauptsächliche Rechtfertigung für die Verwendung einer ›Haftungsausschlussklausel‹ (neudeutsch: ›Disclaimer‹) hält einer genaueren rechtlichen Prüfung nicht stand. Denn das mit ihr verfolgte Ziel einer Absicherung von Verlinkungen durch eine Art rechtlicher ›Vollkaskoversicherung‹ ist weder so noch anders zu erreichen.

Im Gegenteil: Ein ›Disclaimer‹ (disclaime = abstreiten, leugnen, dementieren) kann im ungünstigen Fall sogar kontraproduktiv sein:

Denn wer durch die Verwendung einer Haftungsausschlussklausel so ausdrücklich auf die Möglichkeit hinweist, dass von ihm verlinkte Seiten möglicherweise auch rechtswidrige Inhalte aufweisen könnten, zeigt jedenfalls schon einmal ein diesbezügliches Problembewusstsein. Und wenn es dann mit einer der verlinkten Seite im Ernstfall tatsächlich Schwierigkeiten geben sollte, wird es vor diesem Hintergrund nur schwerer, glaubhaft zu behaupten, dass man das Problem etwaiger rechtswidriger Inhalte gar nicht habe voraussehen können …

Außerdem steht – wie gleich noch zu zeigen sein wird – das Bedürfnis nach Rechtssicherheit in diesem Bereich in einem völlig unangemessenen Verhältnis zur tatsächlichen Gefahr, rechtlich in Anspruch genommen zu werden. Wohingegen in einem anderen, praktisch aber wesentlich ›gefährlicheren‹ Bereich vielfach noch absolute Sorglosigkeit herrscht: der Beachtung der gesetzlichen Impressumspflicht, die denn auch Thema der nächsten Folge dieser Reihe sein wird.

Setzen Sie Links oder lassen Sie’s bleiben!

Im Ernst: Für die ›alltägliche‹ Verlinkung zu fremden Seiten benötigt man keine tiefer gehenden Rechtskenntnisse. Hier ist entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil der ›gesunde Menschenverstand‹ in aller Regel völlig ausreichend.

Wer eine Seite verlinken will, sollte sie sich vorher eingehend angesehen haben. Wenn mit den dortigen Inhalten Einverständnis besteht und man nicht selbst schon bei der Durchsicht Bedenken bekommen hat, kann man den Link ruhig setzen.

Um es deutlich zu sagen: ›Kenntnis‹ im Zusammenhang mit dem ›Sich-zu-eigen-Machen‹ erfordert tatsächliches Wissen. Man muss also die rechtswidrigen Inhalte der verlinkten Seite wirklich kennen, ein ›Eigentlich-kennen-Müssen‹ reicht grundsätzlich nicht aus. Kein fremder Inhalt wird fahrlässig zu einem ›eigenen‹! Auch ist niemand rechtlich verpflichtet, auf von ihm verlinkten Websites aktiv – und vielleicht noch bis auf die letzte Unterseite – nach etwaigen rechtswidrigen Inhalten zu forschen oder Seiten nach bereits erfolgter Verlinkung regelmäßig daraufhin zu kontrollieren.

Wer also eine fremde Seite verlinkt, auf die später rechtswidrige Inhalte eingestellt werden oder die an irgendeiner versteckten Stelle doch solche Inhalte enthalten, haftet nur, wenn ihm nachzuweisen ist, dass er von diesem rechtswidrigen Inhalt tatsächlich Kenntnis hatte.

Zuweilen kommt es natürlich vor, dass ein Webmaster von Dritten darauf aufmerksam gemacht wird, dass einer seiner Links zu (angeblich) bedenklichen Inhalten führt. Derartigen Hinweisen sollte man dann stets umgehend nachgehen, denn wenn bereits nachweisbar ein detaillierter Hinweis vorlag, ist die Grenze zur zustimmenden Kenntnis (dem ›Sich-zu-eigen-Machen‹) schnell überschritten …

Wobei es natürlich nicht generell unzulässig ist, auf Seiten mit bedenklichen Inhalten zu verlinken. Nur muss man in diesem Fall die notwendige Distanzierung sehr deutlich und vor allem immer ganz konkret auf den betreffenden Link bezogen formulieren.

Die Entscheidung für oder gegen einen solchen Link sollte man im Übrigen auch nicht allein von juristischen Überlegungen abhängig machen. Tatsache ist, dass man mit jeder Verlinkung den Besuch der betreffenden Seite fördert und diese damit faktisch unterstützt. Maßgeblich sollte also die Erwägung sein, ob man das will.

Auch vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie zwiespältig eine durch einen ›Disclaimer‹ ausgesprochene pauschale Distanzierung zu beurteilen ist: Im Normalfall werden (abgesehen von reinen Link-Sammlungen mit dem Anspruch auf weitgehende Vollständigkeit) Links in erster Linie bewusst mit einem gewissen ›Empfehlungscharakter‹ gesetzt, etwa als thematische Ergänzung zu eigenen Inhalten und als deren Unterstützung.

Eine Distanzierung aber ist dem Wortsinn nach ein Abstandnehmen, ein inhaltliches Abrücken von den inhaltlichen Positionen anderer. Es liegt also ein gewisser Widerspruch darin, wenn man sich durch einen ›Disclaimer‹ von all seinen Links vorsorglich distanziert, die man doch selbst ausgesucht und zusammengestellt hat. Da drängt sich unwillkürlich die Frage auf, weshalb die Verlinkung überhaupt erfolgt ist, wenn der Anbieter gleichzeitig erklärt, dass er mit den dortigen Inhalten nicht so ganz einverstanden ist …

Macht ein Disclaimer denn überhaupt keinen Sinn?

So viel steht fest: Wenn man keine rechtswidrigen Inhalte verlinkt, braucht man sich nicht zu distanzieren. Und wenn Inhalte doch rechtswidrig sind, haftet man unabhängig von einem ›Disclaimer‹. Ist die Verwendung eines ›Disclaimers‹ also völlig unsinnig?

Die Antwort mag nach den vorstehenden Ausführungen etwas überraschen, aber sie lautet doch: Nein!

Um das eigene Angebot von den Informationen Dritter deutlich erkennbar für den Nutzer abzugrenzen, kann es durchaus nützlich sein, klarzustellen, für welche Inhalte man die Verantwortung übernehmen will – und für welche nicht.

Und auch im Hinblick auf stets zu beachtende Urheberrechte Dritter ist eine Kennzeichnung dessen, was ›auf dem eigenen Mist gewachsen‹ ist, nützlich – schon um deutlich zu machen, dass man sich hinsichtlich bestimmter Inhalte nicht mit fremden Federn schmücken will.

Zudem ist es mit einem ›Disclaimer‹ möglich, über die grundsätzliche Rechtslage hinsichtlich der Haftung für Inhalte zu informieren. Ein Hinweistext, der die Gesetzeslage (zutreffend!) wiedergibt, erlaubt die generelle Information von ›Otto Normalnutzer‹ über Haftungsgrundsätze. Und wie heißt es so schön? »Die Information tötet das Gerücht!«

Das alles ist dann zwar kein echter Haftungsausschluss im Sinne einer rechtsverbindlichen Erklärung. Aber es weist doch unmissverständlich darauf hin, wie ich als Anbieter meine Inhalte verstanden wissen will – ein Punkt, der durchaus bedeutsam werden kann, wenn es doch aus irgendeinem Grund zu einer rechtlichen Auseinandersetzung kommen sollte.

Und schließlich: Auch das in Supermärkten zuweilen noch zu findende Schild mit der Aufschrift »Das Anfassen der Ware verpflichtet zum Kauf!« entfaltet keinerlei Rechtswirkung im Hinblick auf einen etwaigen Kaufvertrag und die meisten Marktleiter dürften das auch wissen. Sie hängen es trotzdem auf.

Es schärft das Problembewusstsein der Kunden – und der ein oder andere von ihnen mag es tatsächlich sogar glauben und sich allein deswegen daran halten…