Leitsatz des Gerichts:
Eine am Computer mittels elektronischer Befehle erstellte Abbildung eines virtuellen Gegenstandes stellt kein Erzeugnis im Sinne des § 72 UrhG dar, das ähnlich wie ein Lichtbild hergestellt wird.
Dies gilt auch dann, wenn die Grafik wie eine Fotografie wirkt, da es auf das Ergebnis des Schaffensprozesses nicht entscheidend ankommt.
Maßgeblich ist vielmehr allein das Herstellungsverfahren und insoweit die Vergleichbarkeit der technischen Prozesse.
Aus den Gründen:
„Der Umstand, dass im Rahmen der Reformierung des Urheberrechts im Jahre 1962 bereits das Bewusstsein vorhanden war, dass das Urheberrecht durch technische Entwicklungen stark beeinflusst wird, es stets zu neuen Fragen der Anwendbarkeit kommt und es daher den technischen Möglichkeiten hinterherhinkt, kann vorliegend nicht zu einer anderen Bewertung führen. Zwar gehört es angesichts des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich zu den Aufgaben der Rechtsprechung, die Gesetze an veränderte Verhältnisse anzupassen. Dies hat jedoch stets mit Rücksicht auf die Grundsätze der Gewaltenteilung und der Gesetzesbindung zu erfolgen. Vor diesem Hintergrund hat die richterliche Rechtsfortbildung die gesetzgeberische Grundentscheidung zu respektieren und eine Auslegung innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens vorzunehmen. Nicht hinnehmbar ist es, wenn sich der geltende Rechtszustand immer weiter vom Wortlaut der Gesetze entfernt. Insoweit ist zunächst zu bedenken, dass Computergrafiken im Rahmen des Urheberrechts nicht völlig schutzlos gestellt sind.Vielmehr genießen diese unter den Voraussetzungen des § 2 UrhG urheberrechtlichen Schutz.
Die Frage, ob ihnen aber darüber hinaus eine Privilegierung im Sinne des § 72 UrhG zukommen soll, ist unter Berücksichtigung der bisher getroffenen gesetzgeberischen Grundentscheidung zu verneinen. Eine andere Auslegung lässt sich jedenfalls dem Zweck des Urheberrechts nicht entnehmen. Der Gesetzgeber hatte seinerzeit die Privilegierung des § 72 UrhG in einer bewussten Entscheidung allein auf Lichtbilder und ähnlich hergestellte Erzeugnisse beschränkt. Bei der Frage, ob der Anwendungsbereich dieser Norm für die Computergrafiken geöffnet werden soll, wenn diese in einer Art virtuellem Fotostudio erstellt werden, handelt es sich um eine grundsätzliche Wertentscheidung, die der Gesetzgeber zu treffen hat. Durch eine Einbeziehung der Computergrafiken in den Schutzbereich würde die bestehende Grenze zwischen der rein bildlichen Darstellung existierender Motive und der darüber hinausgehenden bildlichen Darstellung nicht existenter Motive aufgehoben (so bereits Landgericht Berlin, Urteil vom 20. Juni 2017 – 16 O 59/16). Darüber hinaus würde hierdurch auch die Grenze zwischen dem Urheber- und dem Leistungsschutzrecht neu justiert.77
Die Forderung nach der Einbeziehung derartiger Grafiken in den Schutzbereich des § 72 UrhG mit Blick auf die Entwicklung der Computertechnologie, die zu völlig neuen Gestaltungs- und Bearbeitungsmöglichkeiten geführt hat, ist zwar nachvollziehbar. Dabei verkennt der Senat auch nicht, dass sich bereits heute deutliche Wertungswidersprüche ergeben. So werden etwa Digitalfotos als Erzeugnisse, die ähnlich wie Lichtbilder hergestellt werden, angesehen (vgl. hierzu etwa LG Hamburg, Urteil vom 4. April 2003 – 308 O 515/02, ZUM 2004, 675, 677; LG Kiel, Urteil vom 2. November 2004 – 16 O 112/03, zitiert nach juris), obwohl diese in technischer Hinsicht der Herstellung von Computergrafiken näher kommen dürften als der analogen Fotografie. Auch bezüglich der mittels Computer geschaffenen Video- und Computerspiele, die urheberrechtlichen Schutz genießen (BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 – I ZR 64/17, zitiert nach juris), ergibt sich ein Bruch, wenn das, was für die gesamte Bildabfolge gilt, nicht auch für einzelne Teile hiervon Geltung hat. Ebenso wenig stimmig ist es, wenn ein praktisch von jedermann herzustellendes einfaches Lichtbild eines Parfumflakons bereits (leistungs)schutzfähig sein soll, während eine aufwändig hergestellte und bearbeitete Visualisierung allenfalls Schutz als Werk der angewandten Kunst in Anspruch nehmen kann, obwohl beide Abbildungen dem Betrachter in ihren Grundzügen denselben optischen Eindruck vermitteln (zu diesem Wertungswiderspruch ebenfalls bereits LG Berlin, Urteil vom 20. Juni 2017 – 16 O 59/16, zitiert nach juris). Dieser Bruch ist jedoch bereits im Gesetz angelegt, so dass es auch Aufgabe des Gesetzgebers ist, die bestehenden Regelungen unter Berücksichtigung der technischen Entwicklung sinnvoll anzupassen.“
(Kammergericht Berlin, Urteil vom 16.01.2020, 2 U 12/16 Kart)